| Presseinformation Nr. 042 / 2018

Beeinflusst körperliche Aktivität die Gesundheit künftiger Nachkommen?

Studie findet generationenübergreifenden Nutzen. Forscherteam des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) publiziert im Fachjournal „Cell Reports“.

(dzne/umg) Körperliche und geistige Aktivität sind nicht nur gut für das eigene Gehirn, sie können auch die Lernfähigkeit späterer Nachkommen beeinflussen – zumindest im Mausmodell. Diese besondere Form der Vererbung wird durch bestimmte RNA-Moleküle vermittelt. Sie beeinflussen die Genaktivität und reichern sich nach körperlicher und geistiger Aktivität im Gehirn sowie in den Keimzellen an. Prof. Dr. André Fischer und Fachkollegen vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Göttingen und München und der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) berichten darüber im Fachjournal „Cell Reports“.

Erworbene Eigenschaften ändern nicht die DNA-Sequenz und können daher nicht an die Nachkommen weitergegeben werden – so lautete lange Zeit das Dogma der Genetik. In den letzten Jahren haben Wissenschaftler jedoch einige Beispiele gefunden, die diesem Prinzip widersprechen. Eine schlechte Ernährung beispielsweise erhöht das Krankheitsrisiko – nicht nur das eigene, sondern auch das der Nachkommen. Zudem können sich Lebensumstände wie Stress oder Trauma auf die nächste Generation auswirken. Wissenschaftler nennen dieses Phänomen „epigenetische“ Vererbung, da sie nicht mit einer Veränderung der DNA-Sequenz einhergeht.

VERERBTE LERNFÄHIGKEIT

Prof. André Fischer und Fachkollegen untersuchten nun die Vererbung einer weiteren erworbenen Eigenschaft: der Lernfähigkeit. Es ist bekannt, dass geistige und körperliche Aktivität die Lernfähigkeit verbessern und das Risiko für Erkrankungen wie Alzheimer mindern. Bei Mäusen zeigten die Wissenschaftler nun, dass Lernfähigkeit epigenetisch vererbt wurde. Wenn Fischer und Kollegen Mäuse einer stimulierenden Umgebung aussetzten, in der sie viel Bewegung hatten, profitierten davon auch ihre späteren Nachkommen: Sie schnitten – im Vergleich zu den Tieren einer Kontrollgruppe – in Tests der Lernfähigkeit besser ab. Darüber hinaus war die sogenannte synaptische Plastizität im Hippocampus, einer wichtigen Lernregion des Gehirns, verbessert. „Synaptische Plastizität“ ist ein Maß dafür, wie gut Nervenzellen miteinander kommunizieren, sie sind damit die zelluläre Grundlage für das Lernen.

Als nächstes untersuchten die Wissenschaftler, welcher Mechanismus diesem Phänomen zugrunde liegen könnte. Sie konzentrierten sich dabei auf die epigenetische Vererbung von Vätern und suchten nach dessen materieller Grundlage in den Spermien. Spermien enthalten neben der väterlichen DNA – dem Molekül, in dem die Erbanlagen gespeichert sind – auch sogenannte RNA-Moleküle. In Experimenten überprüften die Wissenschaftler daher, welche Rolle diese RNA-Moleküle bei der Übertragung der Lernfähigkeit spielen. Dazu extrahierten sie RNA aus Spermien von Mäusen, die körperlich und geistig aktiv waren. Diese injizierten sie in befruchtete Eizellen und untersuchten die Tiere, die sich daraus entwickelten. Fazit: Auch in diesen Mäusen waren die synaptische Plastizität und die Lernfähigkeit verbessert. Die körperliche und geistige Aktivität wirkte sich also auf die kognitiven Fähigkeiten der Nachkommen positiv aus und dieser Effekt wurde durch die RNA in den Spermien übertragen.

AUFSPÜREN  DER VERANTWORTLICHEN RNA

In weiteren Experimenten mit RNA-Extrakten konnten die Wissenschaftler genauer eingrenzen, welche RNAs für die epigenetische Vererbung verantwortlich sind. Sie zeigten, dass zwei sogenannte microRNAs – miRNA212 und miRNA132 – zumindest einen Teil der vererbten Lernfähigkeit erklären können. microRNAs sind Steuermoleküle, sie beeinflussen die Aktivierung von Genen. „Unsere Arbeiten bringen zum ersten Mal ein epigenetisches Phänomen konkret mit bestimmten microRNAs in Verbindung“, sagt Fischer, leitender Wissenschaftler am DZNE und an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der UMG.

Darüber hinaus stellten die Forscher fest, dass sich miRNA212 und miRNA132 nach körperlicher und geistiger Aktivität sowohl im Gehirn, als auch in den Spermien der Mäuse anreichert. Im Gehirn fördern diese RNAs – das war bereits bekannt – die Bildung von Synapsen und damit die Lernfähigkeit. Über die Spermien werden sie auf die Nachkommen übertragen. „Hier verändern sie vermutlich sehr subtil die Gehirnentwicklung, so dass die Nervenzellen besser vernetzt sind und die Nachkommen einen kognitiven Vorteil haben“, sagt Prof. André Fischer.

Auch beim Menschen weiß man, dass körperliche Aktivität und geistiges Training die Lernfähigkeit steigern. Ob Lernfähigkeit epigenetisch vererbt wird, lässt sich beim Menschen jedoch nicht ohne weiteres untersuchen. Die Ergebnisse von Fischer und seinen Kollegen helfen jedoch, Hinweise auf diese Frage zu finden. So planen die Forscher nun, zu überprüfen, ob auch in menschlichen Spermien die Moleküle miRNA212 und miRNA132 nach Phasen körperlicher oder geistiger Aktivität angereichert werden.

Originalveröffentlichung

„RNA-dependent intergenerational inheritance 1 of enhanced synaptic plasticity after environmental enrichment“, Eva Benito, Cemil Kerimoglu, Binu Ramachandran, Tonatiuh Pena-Centeno, Gaurav Jain, Roman Manuel Stilling, Md Rezaul Islam, Vincenzo Capece, Qihui Zhou, Dieter Edbauer, Camin Dean, André Fischer, Cell Reports (2018), DOI: 10.1016/j.celrep.2018.03.059

WEITERE INFORMATIONEN:

Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Prof. Dr. André Fischer
Standortsprecher Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), Standort Göttingen
Telefon 0551 / 39-61211
andre.fischer@dzne.de

Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)
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Telefon 0228 / 43302-271
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