| Presseinformation Nr. 113 / 2023

Gewichtsverlust bei Krebs aufhalten

Forscher*innen der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) entdecken Ansatz, um Verlust von Fettgewebe bei Krebserkrankung aufzuhalten. Veröffentlicht in Nature Cancer.

Link zur Presseinformation Nr. 113 / 2023 "Gewichtsverlust bei Krebs aufhalten"
Prof. Dr. Andreas Fischer, Direktor des Instituts für Klinische Chemie der Universitätsmedizin Göttingen, UMG. Foto: umg
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Blutgefäße im weißen Fettgewebe. Foto: umg/Dr. Sana Hasan

(umg) Oftmals kommt es bei Krebs zu Mangelernährung und Gewichtsverlust, ohne dass die Betroffenen etwas dagegen tun können. Etwa die Hälfte aller Krebspatient*innen ist davon betroffen: Sie verlieren an Fett- und Muskelmasse und damit an Körpergewicht. Dies schränkt nicht nur die körperliche Leistungsfähigkeit ein, sondern verschlechtert auch die Prognose. Forscher*innen um Prof. Dr. Andreas Fischer, Direktor des Instituts für Klinische Chemie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), konnten jetzt zeigen, dass die Zellschicht an der Innenseite der Blutgefäße, das Endothel, eine entscheidende Rolle beim Verlust von Fettgewebe bei Krebserkrankungen spielt. Die Forschenden haben die Überaktivierung eines Signalweges im Endothel identifiziert, der für die Zell-Zell-Kommunikation benachbarter Zellen verantwortlich ist und zu einer übermäßigen Produktion von Retinsäure führt. Diese Ereignisse wurden als Schlüssel für den Abbau von Gewebe erkannt. Die Erkenntnisse der Untersuchungen eröffnen nun einen vielversprechenden Ansatz für neue Strategien, den Gewichtsverlust bei Krebserkrankungen aufzuhalten. Die Ergebnisse wurden im September 2023 in der renommierten Fachzeitschrift „Nature Cancer“ veröffentlicht.

Originalveröffentlichung: Endothelial Notch1 signalling in white adipose tissue promotes cancer cachexia. Jacqueline Taylor, Leonie Uhl, Iris Moll, Sana Safatul Hasan, Lena Wiedmann, Jakob Morgenstern, Benedetto Daniele Giaimo, Tobias Friedrich, Elisenda Alsina-Sanchis, Francesca De Angelis Rigotti, Ronja Mülfarth, Sarah Kaltenbach, Darius Schenk, Felix Nickel, Thomas Fleming, David Sprinzak, Carolin Mogler, Thomas Korff, Adrian T Billeter, Beat P Müller-Stich, Mauricio Berriel Diaz, Tilman Borggrefe, Stephan Herzig, Maria Rohm, Juan Rodriguez-Vita, Andreas Fischer. Nature Cancer (2023). DOI: 10.1038/s43018-023-00622-y.

Blutgefäße kommunizieren mit Tumoren
Blutgefäße versorgen fast jede Zelle im menschlichen Körper mit Sauerstoff und Nährstoffen. Sie sind jedoch keine passiven Röhren, die nur das Blut transportieren, sondern steuern die Wiederherstellung von Gewebe, die Erneuerung und Differenzierung von Stammzellen, dies sind Zellen, die an Regenerationsprozessen im Körper beteiligt sind, sowie auch das Fortschreiten von Tumoren. Darüber hinaus gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass Signalwege in Endothelzellen auch den Transport von Nährstoffen, Hormonen, Immun- und Krebszellen durch die Gefäßwand aktiv steuern. Das Endothel ist somit eine Art Kommunikationsplattform, das zahlreiche Signale von Blut- und Parenchymzellen integriert, um die Homöostase, also das innere Gleichgewicht des Körpers, aufrechtzuerhalten.

„Die Untersuchungen meiner Forschungsgruppe zielen darauf ab, die Signalwege zu erforschen, die das Wachstum der Blutgefäße und die Freisetzung von Botenstoffen (angiokrine Faktoren) steuern, welche die Funktionen der umgebenden Zellen in normalen Geweben und Tumoren steuern. Unser Labor hat in den neuesten Untersuchungen die sogenannte Delta/Notch-Signalübertragung im Endothel der Blutgefäße als Schlüsselfaktor für den Umbau beziehungsweise den Verlust von weißem Fettgewebe identifiziert. Diesen Verlust aufzuhalten, würde sich positiv auf den Verlauf der Krebstherapie auswirken“, so Prof. Dr. Andreas Fischer, Direktor des Instituts für Klinische Chemie der UMG.

ZUR STUDIE
Gewichtsverlust und Mangelernährung können den Verlauf von Krebserkrankungen entscheidend beeinflussen. Denn der Verlust von Muskel- und Fettmasse, auch Kachexie genannt, geht mit einer verminderten Lebensqualität, einem schlechten Ansprechen auf die Chemotherapie und einer hohen Sterblichkeit einher. Dennoch gibt es keine standardisierte Behandlung. Verantwortlich für den Fett- und Muskelschwund ist unter anderem ein Umbau des weißen Fettgewebes (WAT - white adipose tissue). Dieser Umbau findet bereits in einem frühen Stadium der Kachexie statt und führt zu einem gestörten Fettstoffwechsel, chronischer Entzündung und schließlich zu Fibrose, einer krankhaften Gewebeveränderung. Bekannt ist, dass der Gewebeschwund als Reaktion auf die vom Tumor ausgeschiedenen sogenannten Faktoren auftritt. Diese Faktoren und deren Rolle sind bisher unbekannt. Da das durchgängige Endothel im weißen Fettgewebe die erste Kontaktlinie mit den zirkulierenden Faktoren darstellt, haben die UMG-Forscher*innen jetzt untersucht, ob das Endothel selbst den Umbau des Gewebes steuern kann. Anhand von Krebsmodellen beim Menschen und bei Mäusen konnten sie zeigen, dass Tumore im frühen Stadium des Gewichtsverlustes die Notch1-Signalübertragung im entfernten WAT-Endothel überaktivieren. Diese Signalübertragung führt zur übermäßig starken Produktion von Retinsäure und zum Verlust von Fettgewebe. Durch die Blockade der Retinsäure-Wirkung, konnte der Abbau des Fettgewebes in einem Krebskachexie-Modell bei Mäusen aufgehalten werden. Dies zeigt, dass Krebs das Endothel an weit entfernten Stellen manipuliert, um den Fettgewebsumbau zu fördern. Ziel ist es jetzt herauszufinden, ob sich die Erkenntnisse, zum Beispiel eine Blockade der Retinsäure-Wirkung mit bestimmten Wirkstoffen, in die Therapie überführen lassen.


WEITERE INFORMATIONEN 
Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität 
Institut für Klinische Chemie
Direktor: Prof. Dr. Andreas Fischer, Telefon 0551 / 39-63067
andreas.fischer(at)med.uni-goettingen.de, clinchem.umg.eu

Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität 
UniversitätsKrebszentrum Göttingen (G-CCC)
Öffentlichkeitsarbeit und Wissenschaftskommunikation
Mandy Dall, Telefon 0551 / 39-62152
ccc(at)med.uni-goettingen.de, gccc.umg.eu

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