Steven Piper

Wie haben Sie von Ihrer Erkrankung erfahren?

Die ersten Symptome bemerkte ich Anfang Juni 2021. Alles fing damit an, dass nachts oft meine Beine einschliefen und sich mein linker Arm taub anfühlte. Ich habe mir nichts weiter gedacht.

Dann fühlte sich mein linker Arm pelzig und schwer an. Ich hatte das Gefühl, wenn ich über meinen Arm streichele, dass ich eine Jacke anhabe. Diese Missempfindungen wurden jeden Tag stärker und ich bemerkte eine leichte Gangunsicherheit. Damals dachte ich, dass ich einen Bandscheibenvorfall habe und daher meine Beschwerden kommen.

Ich habe dann nicht lange gezögert und bin direkt in die Notaufnahme gegangen und nach dem MRT (Magnetresonanztomographie) stand die Verdachtsdiagnose Multiple Sklerose (MS) im Raum. Dort wurde ich dann  stationär aufgenommen; es wurden etliche Untersuchungen gemacht und ich wurde mit der Verdachtsdiagnose MS entlassen. Leider bekam ich dann im September 2021 den nächsten Schub, wo ich meine Beine kaum noch spüren konnte. Ich erhielt ein MRT, drei Tage eine Kortisonstoßtherapie und die Diagnose wurde gesichert: MS mit schubförmigen Verlauf.

Wie haben Sie sich dabei gefühlt und wie gehen Sie mit der Diagnose um?

Wenn man natürlich fest davon ausgeht, dass man einen Bandscheibenvorfall hat und dann die Diagnose MS erhält, haut es einen doppelt so stark um. Für mich brach eine Welt zusammen, weil ich sofort den Rollstuhl gesehen habe. Ich bin ehrlich: Ich habe viel geweint, weil ich damals starke Zukunftsangst hatte und einfach dachte, mein Leben ist vorbei.

Heute kann ich aber sagen: Ich lebe und das zählt. Ich glaube, je länger man mit der Diagnose MS lebt und sich damit auseinandersetzt, desto mehr kann man die Diagnose akzeptieren und sich damit „anfreunden“.

Vielleicht sitze ich eines Tages mal im Rollstuhl, vielleicht kann ich eines Tages nicht mehr so fit sein wie jetzt, vielleicht kann ich irgendwann nicht mehr Vollzeit arbeiten gehen. Aber wer weiß das schon? Meine Ängste sind alles Hypothesen und müssen nicht eintreten. Niemand weiß, was das Leben für einen bereithält, also lebe ich.

Haben Sie Beeinträchtigungen von früheren Schüben und haben Sie grundlegend etwas geändert?

Ja! Was ich sehr oft merke, dass ich nicht mehr joggen gehen kann. Nach kurzer Zeit fangen meine Beine unerträglich an zu kribbeln und ich breche ab. Oft merke ich während der Arbeit, dass ich mich schlechter konzentrieren kann und ich schneller erschöpft bin.

Und ob ich etwas grundlegend geändert haben? Sagen wir mal so, ich versuche es. 

Ich gehe zum Ausgleich 3-mal die Woche ins Fitnessstudio und ich versuche, mit dem Rauchen aufzuhören. Mit dem Rauchen aufzuhören, klappt noch nicht zu 100%, aber auch diesen Weg werde ich bezwingen. Auch versuche ich, mich gesünder und ausgewogener zu ernähren. Mit der Diagnose MS verbringt man viel Zeit im Internet und liest über mögliche alternativen Therapieansätze.

Ich bin der festen Überzeugung, wenn man sich selbst reflektiert, dann weiß man genau, was einem gut tut und was nicht. Wenn man einen ausgewogenen Lebensstil hat, dann sind Burger, Pommes und Cola vollkommen in Ordnung.

Gibt es Unterstützung in der Familie, von Freunden? Und wie sieht Ihr Alltag aus?

Ganz klar: Ja! Die Diagnose MS ist um einiges erträglicher, wenn man mit der Familie oder mit Freunden darüber sprechen kann und Unterstützung, egal in welcher Form, erhält. In meinem Familien- und Freundeskreis sind alle mit der Diagnose MS gut umgegangen. Es war natürlich für alle Beteiligten ein Schock, aber jeder zeigte Einfühlungsvermögen und Verständnis.

Ich glaube, großartig hat sich mein Alltag nicht verändert, zu mindestens nehme ich es nicht bewusst war, weil ich schon vorher sehr organisiert meinen Tag geplant habe.

Natürlich bin ich ängstlicher in den Urlaub zu fliegen. Wenn ich dort einen Schub bekommen sollte, wäre das sehr ungünstig. Wenn ich ehrlich zu mir selber bin, dann bin ich ängstlicher geworden. Ich denke viel darüber nach, was wäre wenn, statt einfach das Leben zu genießen.

Gibt es Sorgen oder Ängste im Hinblick auf die Zukunft?

Ich habe aktuell wesentlich weniger Sorgen, als zu Beginn der Erkrankung. Natürlich mache ich mir Gedanken über meine Zukunft, aber ich versuche, positiv in die Zukunft zu blicken und hoffe, dass ich noch viele, viele weitere Jahre mein Leben leben und genießen kann.

Wie war es, als man über mögliche Therapien geredet hat und kommen Sie gut mit der Therapie zurecht?

Ich hatte Angst. Wenn man ein Medikament gegen eine Erkrankung erhält, dann ist Diagnose auch zu 100% gesichert und es gibt keinen Weg mehr zurück.

Ich war für die Therapie offen und war auch gespannt, wie ich die Injektionen vertrage. Trotzdem musste ich die Therapie in meinem Kopf erstmal verarbeiten, weil ich mich ja nicht „krank“ gefühlt habe.

Aktuell muss ich mich alle vier Wochen mit einem Fertig-Pen in die Haut spritzen und das wars. Die Injektion führe ich zu Hause eigenständig durch, also einfacherer und bequemer geht es nicht.

Was wünschen Sie sich in der Entwicklung der MS-Behandlung? Was möchten Sie anderen Erkrankten mit auf den Weg geben?

Ich glaube, es gibt nur einen Wunsch: ein Heilmittel. Die aktuellen Therapien sind sehr weit entwickelt und es gibt deutlich mehr gut wirkende Medikamente als noch vor 20 Jahren.

Allen Erkrankten möchte ich sagen: Du bist nicht alleine und du lernst mit der Diagnose zu leben. Ich habe mich damals viel auf den sozialen Netzwerken mit anderen Betroffenen ausgetaucht und schnell gemerkt, dass man nicht alleine ist. Dadurch, dass ich auf den sozialen Netzwerken so viel positiven Austausch erlebt habe, bin ich selber zu dem Entschluss gekommen, auf Instagram eine eigene Seitezu starten und anderen Leuten Mut zu machen.

 

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