| Presseinformation 015 / 2024

Neue biologische Klassifikation der Parkinson-Krankheit

Der Parkinson-Forscher Prof. Dr. Tiago Outeiro von der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) hat gemeinsam mit deutschen und internationalen Kolleg*innen eine neue biologisch-basierte, dreiteilige Klassifikation für die Parkinson-Krankheit vorgeschlagen. Das "S-N-G"-System soll ermöglichen, die molekularen Grundlagen der Parkinson-Krankheit bereits vor dem Auftreten von Symptomen zu definieren, zu identifizieren und gezielt therapeutisch anzugehen. Die Ergebnisse sind in der renommierten Fachzeitschrift Lancet Neurology erschienen.

Presseinformation 015 zum Thema "Neue biologische Klassifikation der Parkinson-Krankheit"
Prof. Dr. Tiago Outeiro, Direktor der Abteilung Experimentelle Neurodegeneration der Universitätsmedizin Göttingen, UMG. Foto: privat

(umg) Die Parkinson-Krankheit ist eine weltweit häufig auftretende chronische Erkrankung, die mit einem Verlust von Nervenzellen verbunden ist. Laut Angabe des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. leben in Deutschland aktuell mindestens 200.000 Betroffene. Die Erkrankung ist bislang nicht heilbar, aber es ist inzwischen eine relativ gute symptomatische Behandlung von Medikamenten bis hin zu Hirnschrittmachern möglich, jedoch keine Behandlung der Krankheitsursache. Die Diagnose erfolgt anhand klinischer Merkmale wie dem Vorliegen typischer motorischer Symptome, zum Beispiel das Zittern von Händen, Armen, Füßen und/oder Beinen oder Verlangsamung, Bewegungsarmut und Unbeweglichkeit. Ergänzt wird die Diagnosestellung durch bildgebende Verfahren wie einer Magnetresonanztomographie (MRT) des Gehirns. Auch die Einteilung verschiedener Parkinson-Formen erfolgt in erster Linie anhand klinischer Kriterien. Eine Besonderheit der Parkinson-Krankheit ist die sogenannte Prodromalphase, in der Frühsymptome (Prodromi) noch Jahrzehnte vor der Diagnosestellung auftreten können. In dieser Phase und im Frühstadium können die Parkinson-Krankheit und verwandte neurodegenerative Erkrankungen („Synucleinopathien“) oft nur schwer voneinander unterschieden werden.

Synucleinopathien sind krankhafte Ablagerungen des Proteins α-Synuclein in bestimmten Hirnregionen. Diese α-Synuclein-Anhäufungen in den Nervenzellen entstehen aufgrund einer fehlerhaften molekularen Proteinstruktur (räumliche Fehlfaltung), wodurch sich zunächst kleinste Eiweiß-Fasern bilden, die dann verklumpen und eine zellschädigende Wirkung haben. Meistens sind diese Anhäufungen als sogenannte Lewy-Körperchen im Gewebe nachweisbar. Betroffen sind vor allem dopaminproduzierende Nervenzellen, durch deren Untergang beziehungsweise dem daraus resultierenden Dopaminmangel entsteht dann die Parkinsonsymptomatik.Es sind verschiedene Veränderungen im Erbgut, sogenannte Mutationen bekannt. Diese „Parkinson-Gene“ verursachen aber nur eine kleine Zahl der Krankheitsfälle direkt. Außerdem gibt es genetische Faktoren, die die Wahrscheinlich erhöhen an Parkinson zu erkranken. Bei den sporadischen und den genetischen Parkinson-Formen sind die prinzipiellen Krankheitsmechanismen die gleichen. Es sind aber inzwischen auch Parkinson-Formen ohne Lewy-Körperchen bekannt.

Die Forschung macht seit Jahren immer größere Fortschritte bei der Aufklärung der Parkinson-Krankheitsmechanismen und deren komplexem Zusammenspiel, so dass man hofft, in den nächsten zehn Jahren Therapien einsetzen zu können, die an den molekularen Ursachen ansetzen.

Mit ihrer neuen S-N-G-Klassifikation schlagen die Forschenden, neben Prof. Dr. Tiago Outeiro, Prof. Dr. Günter Höglinger (München), Prof. Dr. Daniela Berg (Kiel) und Prof. Dr. Christine Klein (Lübeck) sowie namhafte internationale Kolleg*innen ein neues System für die Parkinson-Krankheit vor, um eine frühzeitigere Diagnostik und gezieltere Behandlung zu ermöglichen. Das „S-N-G“-System soll dazu beitragen, die molekularen Grundlagen der Parkinson-Krankheit bereits vor dem Auftreten von Symptomen zu definieren, zu identifizieren und gezielt therapeutisch anzugehen. Es umfasst drei Hauptkomponenten: 1) die „Parkinson-Typ Synukleinopathie“, das heißt Anwesenheit oder Abwesenheit von krankhaftem α-Synuclein (S) in Geweben oder in der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit, 2) Hinweise auf eine Parkinson-assoziierte Neurodegeneration (N), dem Verlust von Nervenzellen und Zellfunktionen, die durch spezifische neurobildgebende Verfahren definiert wird und 3) der Nachweis von Parkinson-spezifischen krankheitsverursachenden Genvarianten (G), die eine Parkinson-Krankheit auslösen oder stark begünstigen. „Unser Forschungsfokus an der UMG lag insbesondere auf der Klassifizierung der „Parkinson-Typ Synukleinopathie“. Es ist an der Zeit, veraltete Behandlungskonzepte zu überdenken und Behandlungsmaßnahmen an unseren aktuellen Forschungs- und Kenntnisstand anzupassen“, sagt Prof. Dr. Outeiro, Direktor der Abteilung Experimentelle Neurodegenration der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), und ergänzt: „Mit unserer neuen Klassifizierung möchten wir die Parkinson-Forschung von dem klinischen Ansatz in einen biologischen Ansatz überführen. Wenn wir mit der Behandlung direkt an der Krankheitsursache ansetzen können, würde dies die Aussicht auf eine mögliche Heilung verbessern.“

Die Ergebnisse sind in der renommierten Fachzeitschrift Lancet Neurology erschienen.

Originalpublikation:
Höglinger GU, Adler CH, Berg D, Klein C, Outeiro TF, Poewe W, Postuma R, Stoessl AJ, Lang AE. SynNeurGe: Research criteria for a biological classification of Parkinson’s Disease. The Lancet Neurology 2024, Vol. 23, Issue 2, P191-204. DOI: 10.1016/S1474-4422(23)00404-0.

Dieser Übergang von einer rein klinisch basierten Diagnose hin zu einer biologischen Klassifikation sei unerlässlich für die nächste Phase von Grundlagen- und klinischen Forschungsstudien und bringe die Forschung näher an die für die Entwicklung klinisch bedeutsamer krankheitsmodifizierender Therapien erforderliche Präzisionsmedizin, so das Autor*innenteam. Wenn in künftigen Studien zu den verschiedenen Parkinson-Formen beziehungsweise Synucleinopathien eine exakte Definition der untersuchten Patient*innengruppen erfolgt, können neue Medikamente, die an unterschiedlichen molekularen Mechanismen ansetzen, zuverlässig auf ihre Wirksamkeit untersucht werden, zum Beispiel sollte an Betroffenen mit der Parkinson-Krankheit ohne Lewy-Körperchen keine Therapiestrategie getestet werden, die an Lewy-Körperchen ansetzt.

Presseinformation der Deutschen Gesellschaft für Neurologie e.V.: https://dgn.org/artikel/synneurge-forschungskriterien-eine-neue-biologische-klassifikation-der-parkinson-krankheit


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Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität
Abteilung Experimentelle Neurodegeneration
Prof. Dr. Tiago Outeiro
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Telefon 0551 / 39-67951
tiago.outeiro(at)med.uni-goettingen.de

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