| Presseinformation Nr. 044 / 2020

Ubiquitin regelt Stop & Go auf dem Weg zum zellulären Müllschredder

Göttinger Forscher haben gezeigt, dass molekulares Label nicht nur zellulären Müll markiert, sondern auch als Türöffner fungiert. Forschungsergebnisse publiziert in Nature Cell Biolology, 24. Februar 2020.

Schematische Darstellung zeigt Fehlerhafte Proteine (schwarze Spiralen), die durch Ubiquitin (helle Kugeln) als „Müll“ markiert sind, verlassen das Endoplasmatische Retikulum (rosa) über den Hrd1-Membran-Kanal. Orange: Zellkern; grün: Mitochondrium.
Fehlerhafte Proteine (schwarze Spiralen), die durch Ubiquitin (helle Kugeln) als „Müll“ markiert sind, verlassen das Endoplasmatische Retikulum (rosa) über den Hrd1-Membran-Kanal. Orange: Zellkern; grün: Mitochondrium. Abbildung: Johanna Rischke

(mpibpc/umg) Wie für menschliche Siedlungen ist auch für lebende Zellen eine funktionierende Müllentsorgung wichtig, damit sich kein Unrat ansammelt. In Zellen spielt dabei das kleine Molekül Ubiquitin eine zentrale Rolle: Es wird an fehlerhafte Proteine geheftet, die damit als „Müll“ markiert und für die Entsorgung freigegeben sind. Doch Ubiquitin kann noch viel mehr, wie Göttinger Wissenschaftler jetzt entdeckt haben: Es fungiert auch als Türöffner, indem es defekte Proteine auf ihrem Weg zum zellulären Müllschlucker einen Membran-Kanal passieren lässt. Die Forschungsergebnisse sind publiziert in 
Nature Cell Biology,

„Auch bei der Produktion der Proteine, den Werkzeugen der Zelle, läuft nicht immer alles nach Plan, eine zelluläre Qualitätskontrolle ist auch hier unerlässlich“, berichtet Michael Meinecke, der am Institut für Zellbiochemie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) die Gruppe Molekulare Membranbiologie leitet. Einen Großteil dieser Proteine stellt die Zelle in einem verzweigten Röhrensystem her, dem sogenannten Endoplasmatischen Retikulum oder kurz ER. „Nach der Produktion prüft die Zelle jedes Protein auf Funktionalität, bevor es an seinen Einsatzort gelangt. Ist ein Protein fehlerhaft, wird es aus dem ER heraustransportiert und anschließend im zellulären Müllschredder entsorgt“, erklärt der UMG-Forscher. „Das ist wichtig, weil defekte Proteine die fein abgestimmten Vorgänge in der Zelle durcheinanderbringen und Krankheiten verursachen können.“

Bisher war allerdings nicht klar, wie die defekten Proteine aus dem ER herausgeschafft werden, denn die das ER umgebende Membran ist für Proteine eigentlich undurchlässig. „Man wusste bereits, dass ein Proteinkomplex, zu dem ein Protein namens Hrd1gehört, in der ER-Membran an diesem Prozess beteiligt ist“, erläutert Meineckes Kollege Alexander Stein, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut (MPI) für biophysikalische Chemie. Was aber bisher unklar war: Wie macht Hrd1 den Weg frei, sodass kaputte Proteine die ER-Membran passieren können?

Um diese Frage zu beantworten, kombinierten Stein und Meinecke ihre jeweiligen Expertisen in Biochemie und Biophysik. „Wir mussten die einzelnen Bestandteile – Hrd1, defekte Proteine, Ubiquitin, Membranen und weitere Faktoren – sorgfältig in Reinform gewinnen und das System im Reagenzglas Stück für Stück zusammensetzen, um es untersuchen zu können“, erzählt Stein.

Die Teams um Meinecke und Stein kombinierten dann die biochemische Methodik mit biophysikalischen Messungen einzelner Moleküle. „Das war alles andere als einfach. Das komplexe System mit Modellmembranen innerhalb der Zelle nachzubauen und die Aktivitäten auf Einzelmolekül-Ebene zu messen, war extrem aufwändig. Ehrlich gesagt waren wir überrascht, dass das überhaupt funktioniert“, berichtet Meinecke. So konnten die Forscher erstmals zeigen, was man bisher nur vermutet hatte: Dass Hrd1 einen Kanal bildet, über den fehlerhafte Proteine die ER-Membran durchqueren.

Ubiquitin als Türöffner

Dieser Nachweis sei ein wichtiger Schritt gewesen, der aber direkt eine neue Frage aufwarf, erzählt Vedran Vasic, Doktorand bei Stein: „Wenn es diesen Kanal gibt, muss er auch gezielt geöffnet und geschlossen werden, damit die Zelle kontrollieren kann, welche Proteine ihn durchqueren.“ An dieser Stelle kam Ubiquitin ins Spiel, ergänzt Meineckes ehemaliger Doktorand Niels Denkert: „Wir wussten, dass Hrd1 sich selbst mit Ubiquitin markieren kann und dass es in diesem Fall kein Müll-Label ist – allerdings war unklar, was diese Markierung bewirken soll.“

Daher testeten die Wissenschaftler, wie Hrd1 auf die Markierung mit Ubiquitin reagiert – und entdeckten Überraschendes: Sobald Hrd1 mit dem Ubiquitin-Etikett versehen war, änderte der Membrankanal seine Struktur, öffnete sich und defekte Proteine konnten passieren. Entfernten die Forscher das Ubiquitin, schloss sich der Kanal.

„Ubiquitin ist das Signal für „Go“. Es steuert also als Türöffner die Durchlässigkeit des Hrd1-Kanals in der ER-Membran“, fasst Stein die neue Funktion von Ubiquitin zusammen. „Es wird nun spannend sein zu untersuchen, ob das Molekül auch bei anderen zellulären Kanälen eine ähnliche Rolle spielt.“

Original-Veröffentlichung: Vasic V, Denkert N, Schmidt CC, Riedel D, Stein A, Michael Meinecke M: Hrd1 forms the retrotranslocation pore regulated by auto-ubiquitination and binding of misfolded proteins. Nature Cell Biology 22, 274-281, doi: 10.1038/s41556-020-0473-4 (2020).

WEITERE INFORMATIONEN:
www.mpibpc.mpg.de/de/stein – Webseite der Forschungsgruppe Membranproteinbiochemie,
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, Göttingen

www.meinecke-lab.uni-goettingen.de – Webseite der Arbeitsgruppe Meinecke,
Institut für Zellbiochemie, Universitätsmedizin Göttingen

KONTAKT:
Dr. Alexander Stein, Otto-Hahn-Forschungsgruppe Membranproteinbiochemie
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, Göttingen
Tel.: 0551 201-1621
E-Mail: alexander.stein@mpibpc.mpg.de

Prof. Dr. Michael Meinecke, Institut für Zellbiochemie
Universitätsmedizin Göttingen
Tel.: 0551 39-8189
michael.meinecke@med.uni-goettingen.de

Dr. Carmen Rotte, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, Göttingen
Tel.: 0551 201-1304
E-Mail: carmen.rotte@mpibpc.mpg.de

Stefan Weller, Unternehmenskommunikation, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Universitätsmedizin Göttingen
Tel.: 0551 39-61020
E-Mail: presse.medizin@med.uni-goettingen.de

Folgen Sie uns